FLÖRSHEIMER ZEITUNG 16.03.1999

Eine Familie wie überall

Hubert Burghardt stellt im Flörsheimer Keller seine Verwandtschaft vor

FLÖRSHEIM (re) – „Ekelhaft. Ekelhaft!" Dieser angewiderte Gesichtsausdruck in Erwartung des erzwungenen Begrüßungsküsschens von Tante Hilde – kennen wir diese Situation nicht alle? Im Flörsheimer Keller war am Samstagabend jedenfalls niemand, der sich nicht an eine solche Tante in der eigenen Familie hätte erinnern können. Und genau deshalb lachte das Publikum laut auf, als Hubert Burghardt die Szene kurz anspielte.
Der Kabarettist war nach Flörsheim gekommen, um eine Geschichte zu erzählen, nämlich die von den Feierlichkeiten zum 90. Geburtstag seiner Großmutter. Von eben diesen Festivitäten, war er deswegen in den Keller geeilt, längst erwartet von einem zahlreichen Publikum. Das ahnte schon was nun folgen würde: Die Beschreibung einer Familiefeier, wie sie immer wieder all überall stattfindet. Vetter Thomas, der ungläubige Metzger, hat sein unfreiwilliges Coming out als Schwuler, Tante Hilde kämpft mit ihren Heliumimplantaten, Onkel Willi will an Omas Aktien, kurzum: Die üblichen Familieangelegenheiten und mittendrin Onkel Dieter mit seinem Schifferklavier.
Hubert Burghardt erwies sich als glänzender Erzähler, seine Pointen trafen zielgenau – nicht zuletzt weil jede seiner Anekdoten zwar überspitzt, aber irgendwo doch realitätsnah war. Zwischendurch wurde es musikalisch, denn was wäre ein Geburtstag ohne Gesang? Im Stil eines Liedermachers karikierte Burghardt die Macken von Otto Normalbürger, der sein Leben lang lügt und sich dabei nie entscheiden kann, sei es beim Essen, bei der Kleidung oder beim Partner. Aber egal, wer lange genug wartet, dem wird die Entscheidung von anderen abgenommen, fragt sich nur ob das so gut ist.
Bereits zur Pause hatte der Kabarettist das Publikum auf seiner Seite, aber sein stärkster Auftritt sollte noch kommen. Hatte er im ersten teil amüsante Samstagabendsunterhaltung geboten, folgten im zweiten die Brüller. Denn die sind programmiert, wenn ein Erwachsener Mann nach 25 Jahren zum ersten Mal wieder mit den Eltern in Urlaub fährt und feststellt, dass all seine Alpträume vom deutschen Touristen im eigenen Vater personifiziert sind. Auch die obligatorischen Zoten knapp unterhalb der Gürtellinie fehlten nicht, beim Publikum trafen sie mit voller Wucht die Lachmuskeln.
Doch zurück zu Omas 90. Geburtstag, der war nämlich noch lange nicht zu Ende. Die Schlacht am kalten Büfett begann ihrem Namen alle Ehre zu machen, einige Schüsseln, Teller und auch Rippen gingen dabei zu Bruch. Burghardt lies sein Publikum hautnah dabei sein, es war ein echtes ‚Finale furioso‘. Treffender als für diesen energiegeladenen verbalen Schlussakkord, den der Kabarettist da ablieferte, war der Begriff noch nie.
Es war Wahnsinn: Da brachte ein einziger Mann seine gesamte Familie von Tante Lisbeth über Schwester Sophie bis hin zu Schwager Hermann auf die Bühne, jeden mit seiner eigenen Mimik und seinem ureigenen Tonfall – so etwas kommt nicht nur in den besten Familien vor. Die Zuschauer im Keller waren begeistert, zwei Zugaben musste Burghardt abliefern, dann durfte er gehen. Wohin? Natürlich zurück zu Omas Geburtstagsfeier.


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