Pforzheimer Zeitung 13.12.2005

Der Kabarettist Hubert Burghardt im Nöttinger Löwensaal

„Klugscheißer mit Tagesfreizeit“

REMCHINGEN. Hubert Burghardt versteht die Welt nicht mehr und schreit es laut heraus: „Ich komm da nicht mehr mit.“ Der Kabarettist hält den Zuschauern im Nöttinger Löwensaal den Spiegel vor, übt harsche Gesellschaftskritik und führt in seinem Programm „Schuld sind immer die andern“ vor Augen, wie weit es mit uns gekommen ist.

Politisch, historisch, intellektuell: In der Anwärm-Phase versucht Burghardt, das Publikum mit diversen Witzen und Limericks auf seine Seite zu ziehen. Mit Erfolg. Das liegt an der selbstironischen Reflexion seines Tuns, wenn er etwa dem Publikum sagt: „Es ist das Dilemma von Kabarett: Reiße ich Zoten, finden Sie's toll, aber die Presse zerreißt mich.“ Überhaupt, die Selbstreflexion blitzt immer wieder durch: „Ein Kabarettist ist ein gefühlter Lehrer: Klugscheißer mit Tagesfreizeit.“ Außerdem bemerkt der Dortmunder Komödiant, dass es das Ziel von Kabarett sei, auf unterhaltsame Weise zur Meinungsbildung beizutragen.

Dieses Versprechen hält er ein. Burghardt spielt häufig Dialoge nach und karikiert Figuren, die dem braven Bürger das Geld aus der Tasche ziehen wollen.

Mit Mützchen und grimmigem Blick gibt er im Jürgen-von-Manger-Stil einen kleinbürgerlichen und mit allen Wassern gewaschenen Ruhrpott-Handwerker, der „15 Euro die Stunde nimmt, und zwar BAT: bar auffe Tatze.“ Später lässt er sich als freiberuflicher Kabarettist vom Steuerberater zeigen, wie „man den Fiskus bescheißt“.

Burghardt ist wandlungsfähig und schlüpft in verschiedene Rollen wie den debilen, verklemmt intellektuellen und stotternden Sozialarbeiter in „Gandolf und die Stammzelle“. Als plastischer Chirurg Yusuf Al-Macht aus Damaskus zieht er über den Schönheitswahn in der westlichen Gesellschaft her. Die Körper der Menschen seien im Grunde völlig in Ordnung, aber im Oberstübchen – da seien sie verrückt. „Wenn Sie als Frau in meiner Kultur eine dickere Lippe wollen, brauchen Sie nur ihrem Mann zu widersprechen.“

Burghardt agiert temporeich unter der Regie von Wolfgang Marschall, memoriert dabei ein erstaunliches Textpensum, mit dem er wortspielreich und in langen Kaskaden die Zuhörer bombardiert.Mit detailgetreu recherchierten Nummern geht der 47-Jährige dabei auch mal in die Tiefe.

Zwischendurch lockert er das Programm am E-Piano mit unterschwellig sarkastischen Songs auf. Teils chansonhaft in „Oh Malheur“, teils singt er in bester Liedermacher-Manier in „Mit 88 Jahren“ über die Rente. Sicher ist er nicht der erste Kabarettist, der die urdeutsche Eigenschaft des Jammerns entdeckt. Originell ist jedoch sein VHS-Grundseminar „Jammern, aber richtig“, das er mit dem Publikum durchexerziert: richtige Körperhaltung, schluchzen, der Unterschied zwischen grundlosem und Einwand-Jammern, inklusive dadaistischer Wortfetzen, die man immer anwenden kann. Und warum jammern die Deutschen? „Weil sie keine Veränderung wollen! Denn was die bringt, haben wir ja nach 1933 gemerkt.“

Schonungslos legt Burghardt den Finger in die Wunden.Mit Anglizismen („Eckkneipen heißen heute Chill Out Lounge“) kommt er ebenso wenig zurecht wie mit dem Älter-Werden. „Wenn man im Szenecafé gesiezt wird und die aktuelle H&M-Kollektion als polnisches Flüchtlings-Design interpretiert“ merkt man, dass man altert. Burkhardt ist ein exakter Beobachter.

Er schafft es, die Augen zu öffnen für das Scheitern der klassenlosen Gesellschaft („Fahren Sie mal mit der Bahn.“) und den Blick zu schärfen für Anti-Aging, Globalisierung, Cross-Border-Leasing-Projekte und die Veränderung der TV-Krimis. Wirklich genial ist die Zugabe: der phänomenal gereimte Klassiker „Faust in fünf Minuten“.


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